Freitag, 30. Mai 2014

...der Kreis schließt sich! Tour 5

Im Zimmer ist es kalt. Ich habe gestern Abend die Fenster offen gelassen, die Rollläden habe ich auch nicht richtig geschlossen und so dringt die frische Eifelluft in den Raum.
Zum Schutz ziehe ich mir die Decke noch weiter ins Gesicht und schlage die Bettdecke an den Füßen so um, dass diese wie in einem Schlafsack eingehüllt sich vor der Kälte verstecken können.

Es ist fast acht Uhr und draußen ist es noch sehr still, eine Stille die schon fast wieder laut in den Ohren dröhnt, so ungewohnt aber doch vertraut. Ich erinnere mich als ich vor 24 Jahren in Ostwestfalen-Lippe, im Luftkurort Holzhausen-Externsteine wohnte, dort war es nachts auch totenstill, fast unheimlich.
Hätte es dort Bürgersteige gegeben, wären die nachts hochgeklappt worden. Da die Lipper aber gewisse Ähnlichkeiten mit den Schotten haben, hat man lieber gleich gar keine Bürgersteige gebaut.

Meine Gedanken sind wieder in der Eifel, ich bin nochmals eingenickt und werde von einem Rumpeln wach. Die Müllabfuhr ist gekommen. „Am Samstag? – ach ja, Donnerstag war ja Feiertag, da holen die den verlorenen Tag immer samstags nach.“
Jetzt bin ich aber doch froh, dass ich mein Moped gestern Abend in den Carport gewuchtet habe. Die Straße vor der Tür ist eng und so ein Mülllaster ist breit.
Das Rumpeln wird leiser, die Männer mit den orangefarbenen Hosen sind weitergefahren, die Ruhe kehrt wieder ein, aber nicht für lange.

Im Hintergrund höre ich ein Brummen und jaulen, erst leise dann lauter, dann wieder weg. „Auf dem Ring fahren sie schon“ – geht es mir durch den Kopf. Heute ist kein offizielles Rennen, das werden private Rennfahrer sein, so wie die 4 Typen aus Schweden die wir beim Eifel-Italiener getroffen haben. Die sitzen jetzt sicher in ihren heißen Kisten, sofern sie sich nicht gestern die Finger an den heißen Steinen verbrannt haben.
Der Dorfälteste meinte gestern, dass eine Runde auf der knapp 21 Km langen Strecke durch die grüne Hölle ab dieser Saison 27 Euro kostet. Ein stolzer Preis, wenn man bedenkt, dass die Runde in ca. 20 Minuten abgefahren ist.

Das ist schon irre, da kommen Menschen von so weit her, investieren enorme Mengen an Zeit, Geld und Material um hier für ein paar Stunden ihre Schleifen zu drehen.
Es fährt ja auch immer das Risiko eines Schadens mit, auch wenn es nur Blech zu beklagen gibt. Aber das nehmen sie alle gerne für die Freude und den Spaß ihres Hobbies in Kauf.
So wie mir auch das Motorradfahren Spaß macht, sonst gäbe es diese Zeilen hier nicht.

Mein Ältester arbeitete eine Zeit lang bei einem Rennstall hier am Ring und es war jedes Mal eine andere Welt die sich mir hier zeigte. Eine Welt, sehr vom sogenannten starken Geschlecht geprägt, in der es um Leistung und Erfolg der Teams geht. Nur wer schneller ist kommt weiter. Leider lassen sich zu viele Zuschauer von diesem Hype anstecken um sich dann, außerhalb der Rennstrecke vom Adrenalin beflügelt, auch gerne selbst zu überschätzen.

Überschätzt haben einige Landesvertreter auch den Gewinn, den das Eifeldorf und die Attraktionen am Nürburgring abwerfen würden. Tun sie aber nicht und so soll nun einiges verändert werden sagte der Dorfälteste. Ich erinnere mich noch an die Bilder im Fernsehen, als ein nicht ganz unbekannter Tennisspieler als Werbeträger in der Ring-Racer Achterbahn saß, diese dann aber aus Sicherheitsgründen nur geschoben werden durfte, kein Witz!

Es wird Zeit, ich schiebe auch, und zwar mich aus dem Bett.
Kurz darauf sitze ich frischgemacht und aufgehübscht mit meinen Gastgebern am Frühstückstisch. Das Angebot ist sehr reichhaltig und ich überlege ob ich nicht hier einziehen soll. Man nimmt mir aber die Illusion dass dies jeden Tag so sein wird also verwerfe ich den Gedanken schnell.
Wir unterhalten uns als das Telefon klingelt. Es ist der jüngere Bruder des Dorfältesten, der, wahrscheinlich weil er noch jünger ist nur „Fast-Dorfältester“ geworden ist.
Der Ältere und ich wechseln den Hörer und ich dann ein paar Worte mit dem Jüngeren.

Meine Handy Digitalzeitanzeige rät mir zum Aufbruch denn ich habe heute noch ein paar Kilometer zu fahren und auch noch einen weiteren Besuch auf dem Programm.
Kurz darauf stehe ich wieder in Motorradkluft und sämtlichem Gepäck vor der Tür.
Die Zufahrt zum Carport ist frei, das Auto des Nachbarn, das mir gestern kurzfristig als Sitzplatz diente ist weg. Das ist gut, denn voll bepackt mochte ich mich nicht an dem Auto vorbeizwängen.

Verabschiedet und auf ein neues Treffen verständigt werfe ich den Motor an, ein Druck auf den Knopf und der Auspuff blubbert mir zu, dass alles für den Abmarsch bereit ist.
Vor einigen Jahren fuhr ich eine ältere KTM LC4, die hatte keinen E-Starter und so hatte ich oft meine liebe Not das Gefährt anzuwerfen. Umso ehrfürchtiger genieße ich heute den Starter meiner BMW, es lebe die Technik!

Meine Hände umfassen den Lenker, die Linke greift und zieht den Kupplungshebel.
Der rechte Fuß steht fest auf den Boden, mit dem Linken ein leichter Druck auf den Schalthebel, der erste Gang ist drin. Das Motorrad macht einen leichten Ruck nach vorne, die Kupplungsscheiben müssen sich erst an den Schub des Getriebes gewöhnen.
Meine linke Hand entspannt sich während die Rechte den Gasgriff leicht nach unten dreht.
Die Kette spannt sich und zieht mit geballter Kraft das Rad nach vorne, jetzt geht es wirklich los.

Im Rückspiegel sehe ich meine Gastgeber immer kleiner werden, ich winke noch einmal zu, dann geht es wieder rechts ab am Wald entlang auf der K18, vorbei an dem Fischerteich.
Ich bin noch nicht ganz bei der Sache, und so passiert es mitten im Scheitelpunkt der Spitzkehre am Teich, dass plötzlich der Motor ausgeht. Die Anzeige im Cockpit zeigt mir auch warum – ich hatte den vierten Gang drin, und der ist bei dem niedrigen Tempo in der Kehre keine gute Wahl.
Etwas erschrocken und mit einem Schlenker komme ich am rechten Fahrbahnrand zum Stehen; das ist nochmals gut gegangen. Zwar hat es hier keinen Verkehr der mir hätte Sorgen machen müssen, aber das Risiko bei einem solchen Fauxpas umzukippen ist recht hoch, erst recht mit kurzen Beinen.

Nun, durch den Vorfall ganz wach erreiche und quere ich die B258, und fahre auf der gleichen Strecke zurück die ich gestern kam. Nach ein paar Minuten ignoriere ich wieder einmal die Anzeige auf dem Navi, Motorradfahrer wollen ja frei von Zwängen sein und fahre an der empfohlenen Abzweigung vorbei.
So klug ist der Freiheitsdrang nicht immer, gerade wenn man dann gezwungen wird, mehr zu tanken. Aber mit dem dicken Tank meiner F800 Adventure mache ich mir darüber keine Sorgen. Also weiter auf eigenen Pfaden durch die Eifel, eine tolle Landschaft.

Irgendwann entschließe ich mich dann die ursprünglich geplante Richtung wieder aufzunehmen und komme so über Dankerath auf die L72 nach Bodenbach und Gelenberg und auf der L70 durch das schöne Waldstück nach Kelberg.
Quer über den Kreisel geht es dann auf einen Abschnitt den ich noch nicht kenne, das ist gut, denn einen großen Teil der Strecke bin ich ja gestern schon gekommen.


Landschaftlich hat sich seit meiner Abfahrt nicht viel getan, viele weite Felder und einzelne Waldflächen wechseln sich ab. Heute scheint die Sonne und mit Ausnahme von ein paar hochhängenden Wolken habe ich freie Sicht auf den blauen Himmel.
Mein Ziel ist der Hunsrück, und um den zu erreichen muss ich erst einmal die Eifel in Richtung Mosel passieren. Doch bis dahin ist es noch ein Stück und so ziehe ich meine Kurven auf der L95, unter der Autobahn A48 durch, weiter auf die L52 nach Müllenbach und die B259 nach Büchel, die Mosel kommt näher.

Irgendwann geht es dann los, steil den Berg hinab zum besagten Fluss.
Die Straße ist zwar recht breit und glänzt mit gut fahrbaren Kurven, doch scheint es genügend Anlass gegeben zu haben, hier spezielle Warnschilder für Motorradfahrer aufzustellen. Also halte ich mich so gut es geht an die Geschwindigkeitsbegrenzung und winke dem Mopedfahrer und seinem Sozius hinterher, die mich kurz darauf überholen.

Auf dem Weg nach unten fällt mir eine Brücke auf, die trotz der Steillage über mich hinweg geht. Wohin die wohl führt frage ich mich, die Antwort sollte ich bald bekommen.
Die B259 führt direkt an die Mosel heran, dort in den Ort Sehl.
In Blickrichtung liegt Cochem, oben auf dem Berg das Wahrzeichen der Reichsburg, die aus dem 12ten Jahrhundert stammt und die früher als Zollburg diente.
Land zu besitzen und dem Durchfahrenden Zoll abzuknöpfen hat sich früher schon rentiert.
Die einträglichsten Grundstücke sind heutzutage 1m² groß, meist direkt an stark befahrenen Straßen gelegen und mit kleinen unscheinbaren Säulen und Starenkästen bebaut.


Nachdem ich meine Kamera wieder verstaut habe und mich in Richtung Cochem auf den Weg mache, weist mich mein Navi an wieder nach links abzubiegen. Ich wundere mich, lasse mich aber auf den Wunsch ein und fahre auf steilen Wegen durch den Ort Sehl den Berg wieder hinauf. Aha, das ist also die Brücke, die ich vorher von unten gesehen habe dämmert es mir auf, als ich über die B259 hinwegbrause.
Eben noch an der Mosel, jetzt wieder oben auf der Höhe? So ganz verstehe ich es nicht, denn ich hätte doch eigentlich auf die andere Seite der Mosel gemusst.
Nicht wundern und einfach mal dem Navi folgen denke ich mir, ich habe doch Zeit.

Über die Höhe geht es dann südwärts auf der K22, und dann wieder den Berg hinab, die Mosel fest im Blick und auf der B49 an selbiger entlang auf eine Brücke zu.
Die Zuversicht ist groß den Hunsrück zu erreichen als ich über die Brücke nach Senheim komme, und durch den Ort hindurch auf der L98 wieder den Berg hinauf fahre, die Richtung passt.


Bevor ich die Mosel aus den Augen verliere möchte ich noch schnell noch ein Foto machen und halte hinter einer Spitzkehre auf einer recht langen, aber steilen Geraden an. Den Weg scheinen nur einheimische zu kennen denke ich. Aber scheinbar muss es hier auch einheimische mit gelben Kennzeihen und dem Aufdruck NL geben.
So auch dieser Herr, der mit recht beachtlichem Tempo den Berg herunter brettert, dicht gefolgt von seinem Wohnanhänger und dann gerade noch rechtzeitig den Verlauf der engen Kehre erkennt. Mit heftigen Bremsmanövern und wackelndem Wohnzimmer kommt er gerade so um die Kurve, zum Glück kam ihm an der Stelle keiner entgegen, das wäre nicht gut ausgegangen.

 
Auf geht’s, auf den Sattel und los, immer weiter im Zick Zack den Berg hinauf, vorbei an Weinbergen durch Grenderich und dann wieder nach rechts auf die L199. Nach rechts? Wieso? Geht es da nicht zur Mosel? Stimmt, ich komme bergab durch ein Tal in den Ort Merl an der Mosel.
Ich glaube ich habe ein Déjà-vus.
Der Sinn ist mir nicht ganz klar, aber es muss etwas mit der Navi Einstellung „Kurvenreiche Strecke“ zu tun haben. Das Navi meint es heute besonders gut mit mir.

Vielleicht liegt es aber auch an der Erdrotation die hier am Moselgraben schneller zu sein scheint, ich mache mir so meine Gedanken.
Weiter flussaufwärts komme ich durch Zell an der Mosel, hier kenne ich mich aus, doch das Navi zeigt schon wieder eine andere Richtung an als ich sie mir vorstelle.
Nein, diesmal mache ich was ich möchte, sonst komme ich gar nicht mehr vom Fluss weg. Während der Fahrt schiele ich dann aber doch auf die Strecke die mir mein Navigator zuweisen wollte, überlege kurz ob ich drehe und mich doch darauf einlassen soll, lasse es aber dann und folge der B421 den Berg hinauf. Im Nachhinein wäre die andere Strecke doch sehr interessant gewesen, na ja, dann halt das nächste Mal.

Die B421 ist eine kleine Rennstrecke, hat kaum nennenswerte Kurven und so lässt sich mein Navi wieder einen kleinen Abstecher einfallen um etwas mehr Fahrspaß zu generieren. Von der Bundesstraße geht es ab nach Panzweiler, durch den Ort durch und danach wieder zurück auf die „B“, tolle Sache. Die Bewohner wird es freuen wenn das Mode wird.

Der B421 folge ich weiter durch Kappel, immer geradeaus, dann durch ein Waldstück und über eine Kuppe, bis ich von weitem den gelben Wasserturm meines heutigen Zwischenzieles sehe. Ich quere die B50 und halte für einen Tankstopp kurz hinter dem Ortsschild an. Da ich heute noch nach Hause kommen möchte und der Tank das letzte Mal in den Vogesen bei besagter Leclerc Station gefüllt wurde gieße ich ordentlich nach.

In den letzten Jahren hat sich hier im Ort so viel verändert. Neubaugebiete wurden erschlossen, Einkaufszentren gebaut, andere Geschäfte geschlossen, Straßen erneuert, Häuser gebaut oder abgerissen, die Fußgängerzone umgebaut und der Wasserturm von Weiß in Gelb umgestrichen. Viele Male bin ich hier schon gewesen, habe Spaziergänge gemacht und Menschen getroffen.

Wichtige Menschen traten hier in mein Leben, Menschen die mich angenommen haben ohne zu fragen, Menschen die mir viel bedeuten und von denen ich viel gelernt habe, doch leider sind nicht mehr alle auf dieser Welt, aber so ist der Lauf der Dinge.
Es verbindet mich noch viel mit dem Ort, und doch dreht sich das Lebensrad unaufhaltsam weiter.
Ein paar Minuten später erreiche ich mein Etappenziel – ich werde von einem besonders wertvollen Menschen erwartet.




Es ist Spargelzeit, und so werde ich zum Mittagessen verwöhnt. Klassisch mit Schinken, Kartoffeln und geschmolzener Butter, einfach lecker. Später dann noch ein Stück Kuchen und Kaffee um die Geister für die Weiterfahrt zu wecken. Leider vergeht bei der Unterhaltung die Zeit wie im Flug und so wird es wieder Zeit sich in Schale zu werfen.

Das Stichwort Schale ist gut, ich fühle mich durch die Protektoren an Ellenbogen, Schultern, Rücken, Hüfte und Knien manchmal wie eine Schildkröte. Aber genau darum geht es ja auch, denn sollte die Schildkröte doch mal auf den Rücken fallen, soll der Panzer entsprechenden Schutz geben, und beim Fahren und auch sonst stört es mich nicht.
Lediglich die SIDI Adventure Stiefel, die mir bis jetzt sehr treue Dienste und absolut trockene Füße beschert haben, müsste ich an den Schnallen mal mit Silikonspray einnebeln denn sie quiteschen als ob sie noch zu bezahlen wären.

Quietschenden Schrittes verlasse ich das Haus, ein Blick zurück und zum Abschied gegrüßt erklimme ich die Sitzbank der treu wartenden BMW.
Der Kaffee hat geholfen und ich mache mich nun auf den Weg, den letzten Streckenabschnitt meiner kleinen Rundreise zu befahren. Noch ist es ein paar Stunden hell, sodass ich die Sonne, die die noch voll in der Blüte stehenden Rapsfelder zum Leuchten bringt, in vollen Zügen genießen kann.

Auch wenn es nicht mittelbar mit der Jahreszeit in Verbindung steht hat dennoch die Verspargelung des Hunsrücks sichtlich zugenommen. Weite Felder und Höhenzüge wurden mit unzähligen Windrädern zur Stromgewinnung bestückt. Teilweise nehmen diese Räder enorme Maße an, die Technologie schreitet auch hier rasant vorwärts.
Auf der Fahrt über die B50 an Simmern vorbei fallen mir insbesondere die Windrad-Monstren auf, die auf den Kamm des Soonwaldes gepflanzt wurden.

Bei Argenthal biege ich auf die L242 ab die sich durch den Wald und über den Berg in Richtung Dörrebach zieht. Diese Straße ist wirklich die holprigste, ausgefranste und schlechteste, die ich bis jetzt in unserer perfekt geteerten Alt-Republik gesehen habe, aber man arbeitet dran. Rot-weiße Barken und gerodete Streifen zur Rechten verraten dass der Zustand kein Zustand bleiben kann.

Von Dörrebach geht es nach Stromberg. Hier kann ein gewisser Sternekoch, der sich nicht nur mit Gemüse auskennt, sondern dieses auch im Gesicht trägt, die schöne Stromburg als sein Eigen nennen. Im letzten Jahr war ich hier in Begleitung von Marathon Mann und Party Fee zu einem Sommer-Menü im Kräutergarten der Stromburg.
Das Weingut Dr. Gänz aus Guldental an der Nahe führte mit Lafers Speisen und eigenen hervorragenden Weinen durch den Abend. Das Ambiente der Burg und die witzige und freundliche Art des Winzerpaares machten den Abend zu einem Erlebnis.

Weiter auf der L214 an Waldalgesheim vorbei komme ich in den Ort Weiler und halte etwas weiter für ein paar Fotos an. Von hier oben hat man einen herrlichen Blick über Bingen und auf die rechtsrheinische Seite mit dem Denkmal der Germania, oberhalb von Rüdesheim. Von hier führt die Straße von der Höhenlage hinunter nach einer 180 Grad Kurve hinein nach Bingerbrück.


Die eigentliche Straßenführung durch den Ort scheint meinem Navi nicht zu gefallen und so lasse ich mich kreuz und quer durch 30er Zonen führen, so lernt man auch die Städte kennen. In dem Punkt habe ich einschlägige Erfahrungen von meiner Pforzheim Sightseeing Tour, und um nicht wieder mit den Vorschlägen des Navi in Konflikt zu kommen mache ich mal was ES will. So komme ich wieder auf die Bundestraße 9 die nach Bingerbrück hineinführt. Von hier aus kenne ich die Strecke, vorne kommt eine Ampel, da muss ich links ab. Das Navi stimmt mit mir überein.

Während ich in erster Reihe stehend an der roten Ampel warte, kommen mir Autos entgegen, andere fahren von links kommend weiter, dann wieder die von vorne und wieder die von Links. Das dauert aber lange denke ich, während sich hinter mir schon eine lange Schlange gebildet hat. Unter mir ruckelt der Motor und verströmt seine angestaute Hitze, es wird mir zu dumm.
Ich suche die Teerdecke ab ob hier eine Kontaktschleife eingearbeitet ist, kann aber keine entdecken. Um eine versteckte Schleife zu treffen, oder einer Infrarotkamera ins Bild zu kommen lasse ich mich etwas nach hinten rollen um dann wieder etwas weiter nach vorne zu ziehen, vielleicht werde ich ja von der Ampel bemerkt, aber nichts passiert.

Wieder eine Ampelphase vorbei, es nervt. Vielleicht hätte ich mir doch die „große“ BMW holen sollen? Gefangen in dieser ausweglosen Lage beschließe ich eine spontane aber temporäre Farbenblindheit zu bekommen und ziehe bei der nächsten Gelegenheit über die weiße Linie davon. Ich gehe davon aus, dass die Fahrzeuge hinter mir noch ein wenig gewartet haben.

Kurz darauf überquere ich die Nahe die hier zu meiner Linken in den Rhein mündet.
Rückwärtig, mitten im Rhein auf einer kleinen Insel steht der Binger Mäuseturm.
Der Sage nach soll vor gut 1000 Jahren ein Mainzer Bischof Namens Hatto in einer Hungersnot den Armen, trotz voller Kornkammern nicht geholfen haben und sie dann auch noch in einer Scheune eingesperrt und durch Brandlegung hat abmurksen lassen. Die Hilferufe der Sterbenden hat der Herr Bischof wohl mit dem Pfeifen von Kornmäuslein verspottet. Glaubt man der Geschichte machten sich daraufhin tausende Mäuse über den Bischoff Hatto her, welcher dann flussabwärts mit dem Schiff zum besagten Turm flüchtete um hier vor den Mäusen in Sicherheit zu kommen.
Die Rechnung ging nicht auf, die Mäuse hatten bereits den Freischwimmer und ließen vom Bischof außer Knochen nicht viel übrig. Da kann man nur sagen, Hatto Pech gehabt.

Den geschichtsträchtigen Ort lasse ich hinter mir, kurve weiter durch Bingen um am Ortsausgang dann nach links zum Fähranleger abzubiegen. Bingen – Rüdesheim ist eine stark befahrene Fährstrecke und so stauen sich bei gutem Wetter die Touri-Autos gerne mal in zwei Reihen um auf die „andere „Ebsch Seit“ zu kommen. Um der Nachfrage gerecht zu werden fahren hier sogar in der Regel zwei Fähren über Kreuz.
Heute hält sich der Verkehr jedoch in Grenzen, wobei es auch daran liegen kann dass es bereits 18:30 Uhr ist.

Die Fähre kommt und ich darf ganz nach vorne fahren, direkt an die Schranke, darf aber auch wieder 2,80 Euro für den Service bezahlen. Das ist es mir Wert, denn die Fahrt ist bei dem herrlichen Wetter eine Freude. Ca. 5 Minuten dauert die Querung auf die andere Seite und belohnt mit tollem Blick in alle Richtungen. Voraus liegen die Rüdesheimer Weinlagen, oben auf dem Bergrücken das Niederwald Denkmal mit der Statue der Germania.


Zum Anlass der Deutschen Reichsgründung von 1871 gebaut, wurde die Statue im Jahr 1883 eingeweiht. Ich erspare mir die Erklärung was es sich genau mit ihr auf sich hat und auch, dass sie den Stolz und die Kampfbereitschaft der Deutschen symbolisiert, dass sie in der rechten Hand die Kaiserkrone trägt und in der Linken das Reichsschwert hält, und dass sie als Mahnwache zum Schutz der Rheingrenze bzw. vor dem damaligen Erzfeind Frankreich steht, ja das erspare ich mir.

Aus dem damaligen geschichtlichen Kontext heraus eine verständliche Bauweise, heute würde sich zum Glück niemand mehr trauen solche Bilder zu vermitteln, zumindest nicht in diesem Land. Erstaunlich ist allerdings welch eine Faszination die Statue vor allem auf die ausländischen Touristen ausübt, sie ist halt typisch Deutsch. Es fehlt nur noch ein Oktoberfestbierzelt und eine Wurstbude, dann wäre das Klischee komplett.

Als Karikatur habe ich die Germania aber auch schon mit einem Pergel Trauben und einer Flasche Wein in den Händen haltend gesehen. Diese Variante wäre heute sicher auch ein Renner, gerade zur jetzigen Zeit, denn es ist Schlemmerwoche im Rheingau.
Eine Woche lang öffnen die Winzer ihre Keller und Hofgüter zur kostenlosen Probe der neuen Weine, zum Verweilen und Schlemmen kleiner Speisen, oftmals alles in Eigenregie der Winzerfamilien. Eine schöne Tradition.

Mit einem Rumpeln und kratzen legt die Fähre in Bingen an. Der freundliche Herr mit dem trendigen Range Rover einigt sich per Fingerzeichen darauf mich vorzulassen und so geht es die Rampe hinauf auf die B42.
Hier vor Rüdesheim kreuzt die „B“ die stark befahrene Eisenbahnlinie, sodass der Autoverkehr durch die Bahnschranke des Öfteren einen unfreiwilligen Stopp einlegen muss. Für Touris egal, sie dürfen sich an der schönen Umgebung erfreuen und sind auch bald wieder weg, für die einheimischen Pendler allerdings ein Graus.

Das Glück ist mir hold, die Schranke ist offen und es geht vorwärts durch Rüdesheim, entlang der Flaniermeile mit seinen Cafés, Bars und Souvenirläden, dann weiter auf der B42 aus dem Ort hinaus, am Yachthafen vorbei und entlang des Rheins in Richtung Wiesbaden.
Obwohl Geschwindigkeitsbegrenzt auf 80- bzw. 60 km/h packt es gelegentlich den ein- oder anderen 2-Rad und auch 4-Rad Fahrer hier etwas mehr den Hahn zu öffnen, leider oft genug mit ernsten Folgen.

An neuralgischen Stellen reagieren die Behörden mit dem Aufbau von Kameras.
Die Bilder die dabei gemacht werden sind im Verhältnis zur gelieferten Bildqualität recht teuer, der Lieferservice ist aber hervorragend, die Bilder werden in der Regel ohne vorherige Nachfrage versandt.

Vor mir packt es einen, der seinem Kennzeichen nach zu urteilen, den Foto Shop in Oestrich-Winkel nicht kennen wird. Ich entschließe mich ihm hinterher zu fahren und mittels Lichtorgel auf die nahende Säule aufmerksam zu machen. Irgendwann hat er es gemerkt und geht vor besagter Kamera dann doch auf die Geschwindigkeit herunter die in dem runden Schild mit rotem Rand als mögliche Option angegeben war.
Die Brownie Points gehen an mich, auch wenn ich kein Pfadfinder bin.
Der Gewarnte scheint dann aber doch etwas verunsichert und trödelt nun sogar um einiges langsamer als erlaubt vor mir her. Das bleibt nicht lange so, dann trödelt er hinter mir her.

Ich komme meinem Ziel näher. Vorbei am Oestricher Verladekran aus dem Jahre 1744, vorbei an der European Business School, dem herrlichen Weinstand in Hattenheim und der Tanke an der ich noch ein paar Tage zuvor mir den nötigen Sprit für den Start zu meiner Reise geholt habe.

Noch ein paar Meter weiter und ich verlasse die B42 um nach rechts in meinen Heimatort abzubiegen. Ich überlege kurz, ob ich noch eine Extra-Runde drehen soll, denn bei dem Wetter macht das Fahren auch nach mehr als 1300 Kilometern und ca. 31 Stunden im Sattel richtig Spaß, doch der Blick auf die Uhr rät mir die Reise an dieser Stelle zu beenden.
Diesen Abend der Schlemmerwoche möchte ich gerne noch in netter Begleitung beenden, so ist es an der Zeit diesen Abend einzuläuten.

Es ist Samstag der 3. Mai, 18:52 Uhr als ich zufrieden und berauscht von meiner Tour zu Hause ankomme. Ich habe viel gesehen, viel an mir vorbeiziehen lassen, Menschen getroffen, geredet, mich wieder verabredet, viele neue Eindrücke gewonnen, im wahrsten Sinne des Wortes den Umgang mit meiner treuen BMW erfahren, eindrucksvolle Landschaften erkundet, länder- und menschenverbindende Straßen befahren, mich mit Gedanken konfrontiert und diese verarbeitet, meinen eigenen Dialog mit mir geführt, Regen und Kälte gespürt, aber die Sonne im Herzen behalten.

So bestätigen sich für mich die Worte von Hermann Löns (1866 - 1914)
„Das wichtigste Stück des Reisegepäcks ist und bleibt ein fröhliches Herz.“

Die nun beendete Reise stand im Fokus des Erfahrens, des Befahrens und Sammelns von Erfahrungen und es war gut und richtig diese Tour alleine zu tun.
Sollte mich mein Lieferant aber doch eines Tages anrufen und mir die frohe Botschaft der Ankunft meiner Alu-Koffer verkünden, so werde ich Stauraum für zwei fröhliche Herzen haben.

Denn, wie ein Afrikanisches Sprichwort besagt:
“If you want to go fast, go alone, if you want to go far, go together.”

In freudiger Erwartung auf das was kommen mag – ich habe die Ehre!

 
Tour 5 - der Kreis schließt sich.

3 Kommentare:

  1. Wieder ein toller Bericht und diesmal spielt ja sogar das Wetter mit. Ich hoffe doch, dass es bald wieder auf Tour geht. Und aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen, dass längere Reisen zu zweit noch viel schöner sind...

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  2. Wenn ich das so lese, mein Brüderlein, könnte ich fast neidisch werden, dass ich kein Motorrad habe. Wieder ein toller Bericht und ein guter Abschluss.

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  3. Ich habe alle Deine Berichte über die Tour gelesen, es hat großen Spaß gemacht. Mein Kompliment.

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